Homeoffice – die neue Normalität?

Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor  Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich gezwungenermaßen mit der vielfältigen Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!

In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier beschäftigt sich  Michael Hübler mit der derzeitigen Situation und reflektiert über Themen, die ihn bewegen. Damit möchte er Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.

In der Corona-Krise waren viele Unternehmen gezwungen – zumindest dort, wo theoretisch möglich – ihre Tätigkeiten ins Homeoffice zu verlegen, selbst Unternehmen, in denen dies bislang undenkbar erschien. Doch Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, fehlende Kinderbetreuung, aber auch die Einhaltung von Hygienemaßnahmen machten es notwendig, von heute auf morgen den Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, von zu Hause zu arbeiten. Im heutigen Beitrag setzt sich  Michael Hübler damit auseinander, welche Lehren sich aus dieser Erfahrung ziehen lassen. Möglicherweise wird Homeoffice zu einer neuen Normalität?

Das alte und das vorübergehende Neue

Was Anfang März noch normal war, ist heute auf einmal ziemlich anders. Als Trainer für das Thema Führung auf Distanz – seit Corona ließe sich das Thema auch Führung mit sozialer Distanz nennen – hat sich seitdem einiges verändert, was Führung und Zusammenarbeit angeht.

Anfang März hatte ich mein letztes „Seminar mit Anfassen“. Die Stimmung pendelte irgendwie zwischen seltsam und belustigt. Damals tauchten die ersten Fälle von Covid-19 in Starnberg auf. Das Seminar – vor beinahe unendlichen Zeiten – fand ausgerechnet in einem Vorort von München statt. Es galt bereits die Order, sich nicht die Hand zu geben, was ab und an vergessen und mit einem unsicheren Lachen kommentiert wurde.

Heute ist vieles anders, vielleicht vorübergehend, vielleicht auch dauerhaft. Die Seminarhäuser haben wieder geöffnet. Gruppenarbeiten wird es aber bis auf Weiteres nicht geben. Das physical oder social distancing setzt sich damit fort. Immerhin treffen sich die Menschen live vor Ort und können endlich wieder Themen diskutieren, die schriftlich im digitalen Raum schwierig zu besprechen waren. Verrückterweise lautet mein erstes Seminar “Mimiken und Körpersprache lesen”.

Der Stellenwert der Heimarbeit

Vielen Mitarbeitern wird noch empfohlen, soweit es möglich ist, im Homeoffice zu bleiben. Waren die Bedenken vor Corona groß, musste es nun funktionieren. Die Sorgen, die früher in Seminaren zur Vorbereitung von Mitarbeitern im Homeoffice geäußert wurden, hatten viele Hintergründe:

  • Wie führe ich, wenn niemand da ist oder ich niemanden erreiche?
  • Wie gehe ich als Führungskraft mit diesem Kontrollverlust um?
  • Kann ich meinen Mitarbeitern vertrauen?
  • Wie gehen wir mit der Technik um?
  • Welche Sicherheitsbestimmungen brauchen wir zum Thema Datenschutz?
  • Welche Tätigkeiten lassen sich sinnvoll in der Heimarbeit erledigen, welche nicht?
  • Wie kann Teamarbeit über die Distanz funktionieren?
  • Wie sollte die Kommunikation über die Distanz ablaufen, vor allem wenn Missverständnisse oder Konflikte auftauchen?
  • Was trauen sich insbesondere unsichere Mitarbeiter zu?
  • Ist jeder Mitarbeiter geeignet? Und wenn nein, wer bewertet das nach welchen Kriterien?
  • Darf ich Mitarbeiter, die lieber vor Ort bleiben wollen, zum Homeoffice zwingen?
  • Werden die Menschen einsam sein, weit weg von ihrem Team?

Die Frage der Mitarbeiter wurde auch zu einem Generationenthema. Während ältere Kollegen sich mit dem Gedanken oftmals schwerer anfreunden konnten, zuhause alleine  vor ihrem Bildschirm zu sitzen und befürchteten, den Small-Talk am Kaffeautomaten zu vermissen, sahen viele jüngere Mitarbeiter die Vorteile darin: Weniger Fahrtzeiten, eine praktikablere Work-Life-Balance und ein störfreieres Arbeiten. Als Millenials waren sie es zudem gewohnt, ihr halbes Leben vor einem schwarzen Bildschirm zu verbringen. Zudem kannten sie die Zeit der Stammtische in vielen Firmen nicht mehr, konnten daher auch nichts vermissen.

All diese Fragen wurden durch die Krise kassiert.

Was gehen musste, ging, egal wie gut oder schlecht. Wie es funktionierte, wissen Sie, lieber Leser und liebe Leserin besser als ich. Für groß angelegte Studien ist es noch ein wenig zu früh. Einzelne Aufarbeitungen stehen ebenso noch aus.

In Krisen wird häufig von Gewinnern und Verlierern gesprochen. Derzeit wird noch darüber gestritten, ob die Medien nun gewonnen oder verloren haben. Die Sichtung öffentlich-rechtlicher Sender nahm ebenso zu wie der Konsum alternativer Medienkanäle bis hin zu Verschwörungsseiten. Aktuell sind auch noch viele Menschen verwirrt und unzufrieden, ob der Frage, wie es weitergehen soll, mit ihnen selbst, als auch mit der Politik. Die Emotionen kochen im Angesicht einer ungewissen Zukunft hoch, was sich an den zahlreichen Demonstrationen in Deutschland ablesen lässt. Auch dies wird sich vermutlich nach und nach renormalisieren. Und wie lange die Wirtschaft braucht, bis sie sich wieder stabilisiert hat, ist ebenso ungewiss. Auch hier gibt es ganz neutral formuliert Krisengewinner und Krisenverlierer. Wir werden bald anhand eines neuen Stadtbilds sehen, welche kleinen und mittelgroßen Unternehmen und Geschäfte, Kinos und Gaststätten leider nicht mehr existieren und welche es durch die Krise hindurch geschafft haben.

Unternehmen, für die Homeoffice möglich war, könnten als heimliche Gewinner gestärkt aus der Krise hervorgehen. Sie haben erfahren, was möglich ist und was nicht. In einer Zeit, in der von jungen Mitarbeitern als eine der ersten Fragen im Bewerbungsgespräch die Frage nach dem Homeoffice gestellt wird und in der wir dringend Konzepte zur Entspannung des öffentlichen Nahverkehrs, der Rettung der Umwelt und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie benötigen, bekommt eine zukünftige zeitweise Heimarbeit einen zentralen Stellenwert.

Dazu ist es jedoch notwendig, die Erkenntnisse aus der Corona-Zeit sauber und detailliert aufzuarbeiten, im Sinne eines „Was ging? Was ging nicht? Und wie wollen wir uns in Zukunft positionieren?“

Führung als Nähe-Distanz-Hybrid

Für diese neue Zeit eines hybriden Vor-Ort-und-Heimarbeit-Agierens braucht es ebenso ein Umdenken von Führungskräften. Wie so oft liegt die Lösung nicht in einem Entweder-Oder, sondern einem Sowohl-als-auch.

Spontane, emotionale Führungskräfte werden sich schwerer tun mit einer Führung auf Distanz. Sie werden die Nähe zu ihren Mitarbeitern vermissen. Eher sachlich orientierte und gut strukturierte Führungskräfte, so ließe sich meinen, könnten sich leichter tun. Bei diesen jedoch besteht die Gefahr, den Draht zu ihren Leuten über die Distanz komplett zu verlieren. Es braucht eine gute Mischung aus beiden Typen.

Dabei ist es hilfreich, einen Blick in die Prinzipien zu werfen, mit denen agile Teams gute Erfahrungen gemacht haben:

Vertrauen in die Mitarbeiter

Wird vermehrt virtuell geführt, wird die Frage nach dem Vertrauen zum zentralen Thema:

  • Wie motiviere ich meine Mitarbeiter, wenn ich sie primär digital zu Gesicht bekomme?
  • Wieviel Vertrauen habe ich in meine Mitarbeiter, wenn ich sie nur per Stimme oder Bildschirm empfange?
  • Wie kann ich über die Ferne einschätzen, ob meine Mitarbeiter mich belügen?
  • Lässt sich am heimischen Arbeitsplatz konzentriert arbeiten?
  • Wie gehe ich mit Vertrauensenttäuschungen um?

Eine Führung auf Distanz ist eben nicht gleichzusetzen mit einer sachlich orientierten Führung, sondern bedeutet ebenso Beziehungsmanagement, Bindungsaufbau und Vertrauensarbeit. Vertrauen jedoch ist eine wacklige Vorleistung, die Mitarbeiter im besten Fall dazu bewegt, sich in die Richtung des Zugetrauten zu bewegen. Diese Vorleistung wurde nun durch die Krise erzwungen. Wurde Vertrauen enttäuscht, kann es sich um Absicht handeln oder um mangelnde Fähigkeiten aufseiten des Mitarbeiters, beispielsweise weil die Situation im Homeoffice mit einem zu betreuenden Kind im Nebenraum nicht gerade optimal verlief. In beiden Fällen muss die Situation per Feedback geklärt und aufgearbeitet werden.

Reflexion: Reflektieren Sie eine Situation, in der Ihr Vertrauen während der Krise missbraucht wurde?.Wie deuteten Sie die Absicht der Gegenseite und wie könnten Sie es noch deuten? Woran lag es, dass es zur Vertrauensenttäuschung kam? Was wollen Sie tun, damit es in Zukunft besser funktioniert?

Transparenz, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit

Auf der anderen Seite fördern die Transparenz, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit Mitarbeiter darin, ihrerseits der Führungskraft zu vertrauen, um eigenverantwortlich Aufgaben zu übernehmen, ohne Angst, später torpediert zu werden. Insbesondere in unklaren Prozessen und Entscheidungen ist Transparenz wichtig, um Mitarbeitern Sicherheit zu geben. Gerade in einer Krise gleicht es jedoch einer Gratwanderung, welche Themen offen angesprochen werden und welche nicht. Während es in normalen Zeiten eher sinnvoll ist, transparenter zu agieren, ticken die Uhren in Krisenzeiten so schnell, dass Entscheidungen von heute schon morgen Schnee von gestern sein können. Manchmal ist es daher sinnvoll, erst einmal abzuwarten, bis eine Entscheidung wirklich spruchreif ist.

Reflexion: Welche Themen machten Sie in der Krise transparent? Wie gingen Sie vor allem mit heikle Themen wie möglichen Kündigungen oder Kurzarbeit um? Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus einem offenen Diskurs?

Aufarbeitung der Erfahrungen im Homeoffice

Die Welt nach Corona wird auch in deutschen Büros nicht dieselbe sein. Viele Organisationen würden vermutlich im Anschluss gerne so weitermachen wie bisher. Wenn jedoch schon durch das erzwungene Homeoffice so viele Erfahrungen gemacht werden, wäre es sinnvoll, die Erkenntnisse aus der Krisenzeit gut aufzubereiten.

Mögliche Fragen zur Aufarbeitung im Anschluss lauten:

Ressourcen und Technik

  • Waren die Ressourcen passend? Wie hat es mit der Technik funktioniert?
  • Welche Plattformen/Software zum Austausch waren hilfreich? Und welche sind nicht zu empfehlen?
  • Welche Erfahrungen konnten wir aus E-Learning-Programmen gewinnen?
  • Wie gut funktionierte die technische Betreuung im Homeoffice?
  • Wovon hätten sich die Mitarbeiter mehr, wovon weniger gewünscht?

Austausch, Zusammenarbeit und Konflikte

  • Welche Auswirkungen hatte die Zeit im Homeoffice auf den Kontakt zu und die Kooperation zwischen den Kollegen, insbesondere wenn im Projekt zusammengearbeitet wurde?
  • Welche Auswirkungen hatte die Zeit im Homeoffice auf den Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern?
  • Wie wurde mit Problemen, Hindernissen, Konflikten oder unerwarteten Wendungen umgegangen?
  • Wie sollten wir in Zukunft kommunizieren? Wofür sind Chats geeignet, wofür E-Mails, Videokonferenzen, das Telefon etc.?

Ziele und Zielvereinbarungen

  • Waren die Zielvereinbarungen genau genug und damit hilfreich zurOrientierung?
  • Oder brauchte es eher mehr Spielräume in den Zielvereinbarungen?
  • Brauchen wir eher gleiche Zielvereinbarungen für alle oder individuelle Absprachen?
  • Wurden Ziele nicht erreicht, erreicht oder sogar übertroffen? Woran lag das?
  • Lassen sich daraus Schlüsse für die Arbeit im Büro ziehen?
  • Waren die Kunden  mit den erarbeiteten Ergebnissen zufrieden?

Kompetenzen

  • Welche Kompetenzen wurden im Rahmen der Arbeit im Homeoffice erweitert?
  • Gab es Kompetenzen, die fehlten oder noch immer fehlen?
  • Welche Fortbildungen zur Erweiterung der Kompetenzen wären sinnvoll?

Fazit

  • Wofür ist Homeoffice tatsächlich komplett ungeeignet?
  • Was funktionierte gut oder sogar besser als gedacht?
  • Welche Erkenntnisse ergaben sich insgesamt durch die Zeit im Homeoffice?
  • Welche Erkenntnisse waren erwartbar, welche überraschend?
  • Für wen sind diese Erkenntnisse (besonders) wichtig?
  • Welche Schlüsse und Empfehlungen ergeben sich daraus?

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 hier. Und schon nächste Woche geht es weiter !
Dranbleiben!

 

 


Über den Autor

 Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.

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