6. November 2020 | Hüblers Bunker-Chroniken

Proaktives Führen in einer digitalen Welt

Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor  Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!

In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert  Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.

Nachdem uns die befürchtete zweite Welle der Pandemie getroffen hat und die Mitarbeiter wieder vermehrt das Homeoffice nutzen, stellt sich nun erneut die Frage, wie Führungskräften der Spagat zwischen Nähe, Distanz, Flexibilität und Planung gelingt.

Führungskräfte zwischen Nähe, Distanz, Flexibilität und Planung – Proaktives Führen

Brauchen wir eine neue Art des Führens in einer Welt der digitalen Ferne? Offensichtlich ja, denn eine Führung auf Distanz erfordert einen anderen Ansatz als eine Führung vor Ort. Vor Ort kann ich eine spontane Idee meinen Mitarbeitern auf dem Gang mitteilen. Auf Distanz muss ich besser planen. Vor Ort machen sich wenige Führungskräfte Gedanken über die Bindung der Mitarbeiter. Ein paar Gespräche, ein wenig Lob und Feedback reichen zwar nicht aus, sind aber ein guter Anfang. Auf Distanz wird es holprig. Die Gesprächsführung im digitalen Raum ist vielleicht nur eine Gewöhnungssache. Dennoch wissen wir alle, wie künstlich der Austausch manchmal wirkt, wenn Mimik und Gestik weitgehend fehlen.

Führungskräfte, die bisher eine gute Balance zwischen Planung und Distanz mit einer Spureneinheit Nähe pflegten, werden sich leichter tun. Führungskräfte, die bisher sehr spontan und dazu entweder mit sehr viel Nähe oder sehr viel Distanz führten, wird die Umstellung schwerer fallen. Was also tun?

Für die Frage, ob Führungskräfte in einer digitalen Welt effektiv und effizient über Distanz führen, ist es hilfreich, sich das Riemann-Thomann-Modell mit den Dimensionen Nähe, Distanz sowie Flexibilität und Planung anzusehen. Dadurch erhalten wir vier verschiedene Führungstypen:

Planung und Distanz

Eine Führungskraft, die gerne plant, indem sie Prozesse, Aufgaben oder Rollen vordefiniert und gleichzeitig ihren Mitarbeitern Freiräume für individuelle Entscheidungen lässt, könnte als Mentor bezeichnet werden. Solche Führungskräfte werden am leichtesten mit einer Führung auf Distanz zurecht kommen. Sie gehen davon aus, dass die Mitarbeiter zwar einen Rahmen für ihre Arbeit brauchen, dann jedoch gut auf eigenen Füßen stehen.

Planung und Nähe

Eine Führungskraft, die gerne plant, das heißt auf Rituale, Strukturen und Prozesse achtet und der gleichzeitig Bindung durch Nähe und Harmonie wichtig ist, ist ein guter Teamplayer. Solche Führungskräfte werden es in der Zukunft ein wenig schwerer haben. Sie werden die Nähe vermissen. Wenn sie jedoch lernen, Nähe auch auf Distanz, beispielsweise über Telefonate aufzubauen oder aufrechtzuerhalten, werden sie sich jedoch schnell an die neue Situation gewöhnen.

Flexibilität und Nähe

Eine Führungskraft, die gerne spontan und kreativ ist und gleichzeitig wert auf Nähe und Bindung legt, lässt sich als Visionär Ihr Ideen brauchen schließlich ein Publikum. Und Kreativität entsteht häufig erst im Austausch mit dem Team. Visionäre erzählen gerne Geschichten oder führen mit Humor. Solche Führungskräfte werden es noch schwerer haben. Während die Teamplayer durch ihr Faible für Planungen den Mitarbeitern über die Ferne im Homeoffice Sicherheit vermitteln, hängen diese bei Visionären in der Luft. Führungskräfte dieses Typus sollten einerseits lernen, sich von ihrer Spontaneität in Richtung Planung zu entwickeln, um Unsicherheiten bei ihren Mitarbeitern zu vermeiden, indem sie beispielsweise Feedbackrituale einplanen. Andererseits ist es wichtig, unter Berücksichtigung der individuellen Vorlieben ihrer Mitarbeiter neue Wege für der Bindung und Beziehungspflege zu suchen.

Flexibilität und Distanz

Eine Führungskraft schließlich, die gerne spontan und kreativ ist und gleichzeitig eine emotionale Distanz zu ihren Mitarbeitern bevorzugt, könnte als Stratege bezeichnet werden. Diese Art des Führens wird in Zukunft am problematischsten sein, da hier zwei ungünstige Faktoren zusammenspielen. Mitarbeiter ziehen bei einem Projekt mit, wenn sie entweder den Sinn dahinter verstehen oder ihrer Führung vertrauen. Fehlt beides, könnte der Eindruck einer Willkür entstehen. Führungskräfte dieses Typus sollten einerseits lernen, sich von ihrer Spontaneität in Richtung Planung zu entwickeln, um Mitarbeitern das Signal zu geben, dass ihre Strategien keiner Willkür entspringen. Dafür spielt die Transparenz von Entscheidungen eine wichtige Rolle. Andererseits ist es wichtig, die Bindung zu den Mitarbeitern zu suchen, indem sie sich regelmäßig darüber informiert, ob der Sinn hinter ihren Entscheidungen nachvollziehbar ist.

Radikales, bewusstes und proaktives Führen

In meinen Seminaren zum Thema Führung auf Distanz tauchte in letzter Zeit immer wieder der Begriff der Proaktivität bzw. proaktives Führen auf. Führungskräfte sollten von sich aus auf Mitarbeiter zugehen, um Missverständnisse zu vermeiden. Was früher spontan erledigt werden konnte, muss nun eingeplant und frühzeitig angesprochen werden. Dazu brauche ich als Führungskraft die Bewusstheit der eigenen Wirkung auf meine Mitarbeiter. Dies wiederum bringt uns auf den Ansatz einer radikalen Ehrlichkeit, zu mir selbst sowie im Umgang mit meinem Team. Welche Konsequenzen lassen sich hieraus für unsere vier verschiedenen Führungstypen ziehen:

Proaktives Führen für Mentoren

Eine Führungskraft, die gerne plant und gleichzeitig Mitarbeitern Freiräume für Entscheidungen lässt, muss aufpassen, nicht zu weit von ihren Mitarbeitern weg zu sein. Das schafft sie, indem sie sich klar macht, was sie von ihren Mitarbeitern erwartet, warum ihr das wichtig ist und dies auch proaktiv äußert. Wie das konkret funktioniert, werden wir uns in einem späteren Beitrag ansehen.

Für Teamplayer

Eine Führungskraft, die gerne plant und gleichzeitig Bindung durch Nähe herstellen möchte, wird auf andere radikale Erkenntnisse kommen, die sie bewusst und proaktiv einbringen sollte. Sie sollte sich eingestehen, dass die Nähe, die sie sonst als Teamplayer genoss, über die Distanz nicht haben wird. Die radikale Ehrlichkeit zu sich selbst wird daher zuerst einmal schmerzhaft für sie sein. Gleichzeitig sollte sie sich die Frage stellen, wie viel Nähe bisher gut und ob die Verbindung zu ihren Mitarbeitern vielleicht sogar an manchen Stellen und in manchen Momenten zu viel des Guten war, weil die Mitarbeiter damit zu wenig Freiräume bekamen, um eigene Ideen auszuprobieren.

Es stellt sich auch die Frage nach einer übertriebenen Harmonie als Hindernis für harte, aber notwendige Entscheidungen. Hierzu sollte eine Teamplayer-Führungskraft radikal ehrlich mit sich ins Gericht gehen, um daraus die Erkenntnis zu ziehen, wie sie dennoch eine gute und sinnvolle Nähe über die Distanz beispielsweise mittels Telefonaten herstellen kann.

Für Visionäre

Eine Führungskraft, die gerne spontan und kreativ ist und gleichzeitig wert auf Nähe und Bindung legt, sollte sich radikal ehrlich eingestehen, dass Spontaneität und Kreativität in einem nahen Setting beispielsweise im Rahmen eines Projektteam-Brainstormings eine spannende Sache, jedoch auf Distanz schwieriger umzusetzen ist. Auf Distanz wirken sie weniger sympathisch, wie sie es sonst gewohnt sind, sondern chaotisch. Sie sind es nicht gewohnt zu planen, weil sie Angst davor haben, dass ihnen das enge Korsett und die Festlegung von Planungen ihre Kreativität raubt.

Diese Erkenntnis einer radikal persönlichen Ehrlichkeit sollten sie auch ihren Mitarbeitern zutrauen. Insbesondere diejenigen, die sie bereits gut kennen, werden es verstehen. Vielleicht ergibt sich daraus ein gemeinsamer proaktiver Lernprozess, der sowohl die Kreativität erhällt als auch dem Bedürfnis der Mitarbeiter nach Klarheit entgegen kommt. Auch hier kann die Erkenntnis erhellend sein, dass der bisherige Führungsstil zwar sympathisch war, jedoch auch an manchen Stellen zu Verunsicherungen führte, die nun schlechter durch Nähe aufgefangen werden.

Proaktives Führen für Strategen

Eine Führungskraft schließlich, die gerne spontan und kreativ agiert oder dies zumindest nach außen den Anschein hat und gleichzeitig die emotionale Distanz zu ihren Mitarbeitern bevorzugt, sollte sich radikal ehrlich eingestehen, dass dies gerade über die Distanz zu massiven Verunsicherungen bei den Mitarbeitern führt. Wir sehen dieses Phänomen häufig in politischen Entscheidungen. Politiker jenseits der Gemeindepolitik können logischerweise kaum enge Bindungen zu Bürgern pflegen. Sind Sie dennoch willens und fähig, ihre Entscheidungen den Bürgern langfristig zu vermitteln, agieren sie mediativ. Werden sie jedoch als zu spontan wahrgenommen, verlieren sie das Vertrauen der Bürger. Die Spontaneität und mangelnde Bindung zieht den Willkür-Vorwurf nach sich.

Wollen strategisch agierende Führungskräfte, dass ihre Mitarbeiter ihnen auch über die Distanz folgen, sollten sie sich am ehrlichsten von unseren vier Typen vor den Spiegel stellen. Es mag sein, dass manche Entscheidungen schnell gefällt werden müssen und eine zu frühe Festlegung eine strategische Flexibilität zunichte macht. Es mag auch sein, dass strenge Entscheidungen leichter zu fällen sind, wenn die Bindung zu den Mitarbeitern nicht zu groß ist. Für strategisch handelnde Führungskräfte ist es folglich leichter, agil-flexible Entscheidungen auf Distanz zu treffen.

Mitarbeiter, die weder Vertrauen in ihre Führungskraft haben, noch die Entscheidungen insbesondere aufgrund der Schnelle, nachvollziehen können, werden dies anders sehen. Strategisch orientierte Führungskräfte sollten daher lernen, ihre Entscheidungen sofern möglich langfristiger zu planen und den Werdegang eines Urteils transparent und proaktiv mitzuteilen. Auch wenn manche Mitteilungen noch nicht spruchreif sind, ist es dennoch hilfreich, wenn der Prozess der Entscheidungsfindung offener gehandhabt wird, um Unsicherheiten oder Gerüchte zu vermeiden. Den meisten Mitarbeitern reicht es zu wissen, dass aktuell über ein bestimmtes Thema diskutiert und ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft eine Entscheidung gefällt wird.


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Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr
 hier.

Das Thema “Proaktives Führen” beschäftigt Michael Hübler auch in seinen  Büchern.

 

 


Über den Autor

 Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.

Bei metropolitan von Michael Hübler erschienen:

 Provokant – Authentisch – Agil
Die neue Art zu führen
Wie Sie Mitarbeiter humorvoll aus der Reserve locken
ISBN 978-3-96186-004-3

 New Work: Menschlich – Demokratisch – Agil
Wie Sie Teams und Organisationen erfolgreich in eine digitale Zukunft führen
ISBN 978-3-96186-016-6

 Die Bienen-Strategie und andere tierische Prinzipien
Wie schwarmintelligente Teams Komplexität meistern
ISBN 978-3-96186-031-9