18. September 2020 | Hüblers Bunker-Chroniken

Die Bedeutung unserer Stimme im digitalen Zeitalter – Teil I

In diesem Beitrag der Bunker-Chroniken – und dem folgenden – macht sich  Michael Hübler Gedanken über etwas, das wir oft gar nicht bedenken: In Zeiten von digitaler Kommunikation beschränkt sich unsere Präsenz oft auf unsere Stimme. Welche Bedeutung unserer Stimme zukommt, bespricht er im Folgenden.

I  Die Bedeutung unserer Stimme in einer Kommunikation auf Distanz

1. Austausch und Lernen im virtuellen Raum

Spätestens seit den 70er Jahren wissen wir, dass – neben dem planvollem Denken – das ganzheitliche Lernen ein weiterer großer evolutionärer Vorteil des Menschen ist. Wir beobachten beispielsweise einen Kollegen, erfassen anhand seines Modells, wie dieser mit Kunden am Telefon spricht, und lernen daraus, ohne dass dieser auch nur einen erläuternden Satz ergänzen muss. Das Modelllernen geht auf die Sozialkognitive Lerntheorie von  Albert Bandura zurück. Danach lernen wir nicht nur anhand der Beobachtungen anderer, sondern auch aufgrund der Vorstellungen unserer eigenen Entwicklung von der Vergangenheit bis in die Zukunft. Anhand des Modells kann der Mensch auch in seine eigene Zukunft schauen, wenn er sich vorstellt, wie er selbst in Zukunft mit Kunden umgehen, seine Stimme modulieren, Pausen oder Betonungen setzen könnte.

Das gleiche gilt logischerweise für jede Lernsituation, für Trainings, in denen Rollenspiele stattfinden, ebenso wie für Teambildungen, Coachings, Supervisionen oder Mediationen. Auch dort lernen wir per Modell auf einer emotionalen, körpersprachlichen, visuellen, akustischen oder kognitiven Ebene.

In virtuellen Meetings reduziert sich der Austausch und damit auch das “Voneinander Lernen” weitgehend auf die visuelle und akustische Ebene. Das Körpersprachliche ist weitgehend abgeschnitten. Auch die Übertragungsraten sind noch nicht so optimal, wie wir uns das wünschen. Oftmals hakt es oder das Bild hinkt dem Ton hinterher. Zudem können wir uns in einem virtuellen Meeting oder Training meist nur auf eine Person konzentrieren. Und selbst das ist schwierig, weil wir beim Sprechen in die Kamera schauen sollten, wodurch wir die Reaktionen der anderen Teilnehmer nicht mitbekommen. Die Schnelligkeit unserer Computer wird in den nächsten Jahren zunehmen und auch die Netzwerke werden stabiler werden, sodass hier bald keine Probleme mehr bestehen. Die restlichen Schwierigkeiten, was beispielsweise die Körpersprache angeht, werden wir jedoch kaum lösen können. Was bleibt ist die Akustik, das heisst der Ausdruck unserer Sprache.

Es geht auch ohne Video

Spannenderweise gilt für die visuelle Wissensvermittlung über Videos eine Aufmerksamkeitsgrenze von etwa fünf Minuten, während ein Lernhörbuch durchaus 25 Minuten lang sein darf. Dies liegt zum einen sicherlich daran, dass wir Hörbücher in anderen Kontexten hören, beispielsweise im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Zum anderen können wir jedoch während des Hörens die Augen schließen (im Auto natürlich nicht!) und damit den Lerninhalten entspannt folgen. Daher wäre auch in Meetings in Zukunft zu prüfen, ob eine Videokonferenz immer der beste Weg ist? Wir vergessen bei all der Euphorie für die schönen neuen Möglichkeiten, dass wir immer noch über ein Medium namens “Telefon” verfügen, das uns bisher gute Dienste leistete.

2. Wie unsere Stimme Vertrauen schafft

Ein weiterer Aspekt, der verdeutlicht, wie wichtig der akustische Kanal im Digitalen ist, ist der Transport von Emotionen über unsere Stimme. Kollegen, die viel virtuell kommunizieren, weil sie beispielsweise im Homeoffice sind, fehlt oftmals die Nähe zu- und damit das Vertrauen füreinander. Vertrauen entsteht durch eine längere Beziehung zueinander, in der man sich gegenseitig beschnuppert, die Eigenarten seines Gegenübers kennenlernt, gemeinsam Ziele anstrebt, Projekte vorantreibt (und vielleicht scheitert) und Hindernisse überwindet.

Vertrauen fußt folglich auf dem gemeinsamen Tun und der Einschätzung der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des Kollegen. Die jeweiligen Macken spielen dabei nur insofern eine Rolle, als dass ich weiß, dass sie da sind und dass ich einschätzen kann, wann sie auftauchen – wodurch ich in der Lage bin, gut für mich damit umzugehen. Vertrauen in andere bedeutet also, dass die Erwartungen an andere so aussehen, dass ich nicht stetig enttäuscht werde. Dafür ist es unerlässlich, ehrlich zueinander zu sein und die eigenen Erfolge, vor allem jedoch die Fehler und Misserfolge transparent zu machen, um so schnell wie möglich Klarheit zu schaffen und Missverständnisse auszuräumen.

Die Talking-out-loud-Attitüde jüngerer Generationen im Internet mag für ältere Generationen befremdlich sein. Was interessiert es mich, was jemand gerade isst oder in welchem Biergarten er gestern saß. Dieses in seiner Extremform narzisstische Verhalten stetiger Selbstoffenbarung und Ein-Weg-Kommunikation führt jedoch auch dazu, dass wir über unsere Mitmenschen Bescheid wissen. Damit fühlen wir uns ihnen verbunden, was wiederum Nähe und Vertrauen schafft. Folglich wäre es nicht die schlechteste Idee zur Förderung der Teambindung, neben den offiziellen virtuellen Meetings einen Chatroom zur Bildung von Vertrauen einzurichten.

Die Optik kann uns blenden

Ein anderer Weg, wenn wir auf die direkte Kommunikation in virtuellen Meetings zurückkommen, geht über unsere Stimme. Interessanterweise werden Lügen leichter erkannt, wenn wir nur eine Stimme hören, ohne das Gesicht dazu zu sehen. Offensichtlich lassen wir uns durch ein Gesicht leichter blenden. Die Stimme jedoch transportiert die puren Emotionen zu dem Gesagten ohne ein manipulatives Beiwerk. Es macht nunmal einen Unterschied, ob man etwas hört oder sieht von einem Menschen, der groß gewachsen, gut gebaut, gut frisiert ist, einen schicken Anzug, teure Schuhe und eine teure Uhr trägt oder von einem Menschen, der untersetzt und leicht dicklich ist, dem bereits die ersten Haare ausfallen, der vielleicht sogar eine schlechte Haut hat, sich keinen persönlichen Schneider leisten kann und leider mit der Wahl seiner Schuhe ebenso daneben liegt.

Beide Menschen können gleich intelligent und wissend sein. Sie werden jedoch unterschiedlich wahrgenommen. Wie oft ist es Ihnen (vermutlich ebenso wie mir) schon passiert, dass Sie eine Person erst über ihre Stimme kennenlernten und später immens über die optische Person dahinter überrascht wurden? Die Digitalisierung bietet damit auch eine Chance für in den gesellschaftlichen Augen weniger hübsche Menschen, mit ihrer Stimme zu glänzen.

3. Wie unsere Stimme Emotionen vermittelt

Aufgrund des Faktums, dass unsere Stimme so direkt, bar jeder Ablenkung emotional wirkt, vermittelt sie uns auch ein Gefühl der Nähe, des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit. Es ist in der Tat so, dass akustische Reize es leichter schaffen, uns emotional zu berühren als visuelle. Dass Musik uns eher zum Weinen bringt als das Bild in einem Museum, ist uns vermutlich allen bewusst. Schließlich heisst es nicht „Welche zehn BILDER würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?“, sondern „Welche zehn MUSIKSTÜCKE“. Die Mischung aus Akustik und Optik in einem Film ist freilich emotional noch mächtiger. Getrennt gewinnt allerdings die Akustik.

Ein Beispiel für die Macht der Akustik

Als ich im Rahmen eines Urlaubs mit meiner Familie vor einigen Jahren Krakau besuchte – ich selbst habe schlesische Wurzeln, weshalb mich Polen grundsätzlich interessiert – besichtigten wir ein Museum in einem ehemaligen Ghetto. Es handelte sich dabei um eine Apotheke, die damals mitten im Ghetto stand und zu konspirativen Treffen der Bewohner genutzt wurde. Das Museum war logischerweise räumlich klein, verfügte jedoch über Telefonhörer, über die wir uns in polnischer Sprache Szenen von damals anhören konnten.

Es heisst zwar, dass ein Bild mehr sagt als 1000 Worte, die Dramatik der eingesprochenen Szenen, auch wenn wir inhaltlich kein Wort verstanden, entfaltete jedoch eine emotionale Wucht, die mit anderen Exponaten des Museums kaum erreicht wurde. Innerhalb weniger Sekunden wurde man hineingezogen in die Welt des Ghettos vor etwa 80 Jahren. Die Stimmen transportierten nicht nur Emotionen der Angst, Unsicherheit oder Wut, die wir natürlich auch heute noch kennen. Das Eingesprochene hätte ebenso – entschlackt von allem historischen Ballast der Optik – gestern stattfinden können und war damit präsenter und aktueller als alles andere in dem Museum. Das Gehörte stand stellvertretend für alle Ghettos der Welt in allen Zeiten. Stimmen und Sprache bekommen damit eine Unvermitteltheit, die uns direkt betrifft.

Negatives kann auch positiv sein

Nun lassen sich über unsere Stimme natürlich nicht nur vermeintlich negative Emotionen und Stimmungen vermitteln (z.B. Angst, Bedenken, Zweifel, Unsicherheit, Unruhe, Nervosität, Skepsis, Überraschung, Wut, Zorn, Ärger, Neid, Trotz, Misstrauen, Entrüstung, Überheblichkeit, Abneigung, Enttäuschung, Verzweiflung, Verlegenheit, Schuldgefühle oder Scham), sondern auch Freude, Begeisterung, Neugier, Stolz, Empathie, Zuneigung, Staunen, Dankbarkeit oder Bewunderung ausdrücken.

In der klassischen Rherotik geht es vermehrt darum, über positive Emotionen sein Publikum mitzuziehen oder ein Produkt zu verkaufen. Mir geht es jedoch darum, echt zu sein, sich dessen bewusst zu sein und damit Bindung, Nähe und Vertrauen zu schaffen.

Übersetzungsbeispiele

Wichtig hierbei ist es also nicht, seine Emotionen zu unterdrücken bzw. in Richtung positivem Optimismus zu forcieren, sondern mir bewusst zu machen, welche Emotionen ich vermittle und was ich damit vermutlich an Signalen aussende:

  • Bin ich unsicher, vermittle ich, dass ich Hilfe brauche. Gleichzeitig signalisiere ich, dass ich das Thema ernst nehme und mir deshalb viele Gedanken mache.
  • Bin ich wütend, gehe ich mit meinem Gegenüber nicht konform und verfolge andere Ziele oder andere Pläne zur gemeinsamen Zielerreichung. Auch hier nehme ich das Thema ernst, wünsche mir jedoch mehr eigene Spielräume.
  • Bin ich enttäuscht, hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht, vielleicht auch eine höhere Transparenz in der Kommunikation. Hätte ich früher bzw. prozesshafter von einem Ereignis erfahren, wäre die Enttäuschung evtl. kleiner. Wichtiger als das Ereignis an sich ist ja oftmals der Umgang mit dem Ereignis.
  • Auch Verlegenheits- und Schuldgefühle signalisieren meinem Gegenüber, wie ernst ich bestimmte Regeln nehme. Hätte ich ein Ziel nicht erreicht und hätte dabei keine Schuldgefühle, weil ich vielleicht zu spät mit einer Aufgabe begonnen habe (oder sogar das Gefühl der Scham und damit der eigenen Inkompetenz), würde ich meinen Job wohl nicht ernst genug nehmen.
  • Entrüstung wiederum orientiert sich weniger an einer mangelhaften Zielerreichung, wie beim Ärger, sondern mehr an einer abweichenden Sichtweise von Werten. Offensichtlich lag ein Fehler nicht daran, dass sich jemand nicht genug angestrengt hat. Es lag vielleicht daran, dass Fehler bei uns grundsätzlich ungenügend besprochen werden. In diesem Fall sollten wir über unsere Kommunikation und den Umgang miteinander sprechen. Entrüstung bis hin zur Arroganz hat häufig mit Führung zu tun, wenn Mitarbeiter ihrer Führungskraft vorwerfen, nicht genügend Regeln vorzugeben, damit der Laden läuft. Damit entstehen Freiräume, die es manchen Mitarbeitern leicht machen, auszubüchsen, ohne dafür gerügt zu werden.

Ein praktischer Tipp

Daher ist es wichtig, sich nicht nur klar darüber zu werden, welche emotionalen Signale ich aussende, sondern ebenso der vermittelten Emotion einen Satz zur Klärung hinterher zu schieben (aufgrund des meist unbewusst kritischen Untertons der reinen Emotion). Anstatt einer inhaltlich-emotionalen Unstimmigkeit entsteht dadurch eine Stimmigkeit, die wiederum die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen zueinander herstellt – erst recht über die räumliche Distanz einer digitalen Ferne.

Weiter geht es mit Teil II

Im 2. Teil zum Thema „Die Bedeutung unserer Stimme im digitalen Zeitalter“ geht es um praktische Tipps zur Erhöhung der Wirkung Ihrer Stimme. Diese Tipps lassen sich leicht auch in virtuellen Meetings einsetzen.


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Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr
 hier.
Mehr zur Bedeutung unserer Stimme gibt es im  zweiten Teil des Beitrags.

 

 


Über den Autor

 Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.

Bei metropolitan von Michael Hübler erschienen:

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