18. Mai 2021 | Hüblers Bunker-Chroniken

Die Vorteile von Netzwerken und Hierarchien optimal nutzen

Als erfolgreicher Mediator und Coach ist Bestseller-Autor  Michael Hübler üblicherweise viel unterwegs, um Führungskräfte zu schulen oder Vorträge zu halten. Doch wie viele Selbstständige ist er nun ebenfalls ins Homeoffice verbannt und beschäftigt sich mit der Berichterstattung zur aktuellen Situation. Und was macht ein Autor, der an den Schreibtisch gefesselt ist und plötzlich “zu viel” Zeit hat? Natürlich – er schreibt!

In gewohnt kritischer, leicht zynischer, aber auch humorvoller Manier reflektiert  Michael Hübler die derzeitige Situation und damit Themen, die ihn bewegen. Er möchte Mut machen, Ablenkung schaffen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen in einer aktuell schwierigen Zeit. Eine Zeit, der wir uns als Gesellschaft, Familie, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, aber auch als Freunde und Individuum stellen müssen. Daraus entstehen – mit dem ihm so typischen Augenzwinkern – die Hübler Bunker-Chroniken.

Wenn man sich die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt und die Diskussionen um „New Work“ ansieht, drängt sich der Eindruck auf, das Ende der Hierarchie stünde im Unternehmenskontext kurz bevor. Kannte man solche Forderungen anfangs vor allem von überschaubaren, selbstverwalteten Betrieben, vor allem aus dem Start-up-Umfeld oder IT-nahen Unternehmen, wird das Ende der Hierarchie seit einigen Jahren auch für größere Wirtschaftsunternehmen gefordert: Im Homeoffice entscheidet jeder Mitarbeitende selbst und von Scrum-Teams bis zum Großraumbüro wird Partizipation groß geschrieben. Tatsächlich hat sich die Kultur des Umgangs miteinander verändert. In der digitalen Welt macht uns das vorherrschende “Du” mit einem Mausklick um 20 Jahre jünger. Und wer das nicht will, gilt als Spielverderber. Jüngere Generationen wollen sich – außer in Pandemie-Zeiten – ohnehin nichts mehr sagen lassen. Deshalb stellt sich in der heutigen Ausgabe der Bunker-Chroniken die Frage: Hat wirklich bereits das letzte Stündlein von Hierarchien geschlagen?

Das Ende der Geschichte?

Die Welt teilt sich seit jeher auf in Mainstream-Meinungen und Nischenthemen. In der Wirtschaftswelt scheint mittlerweile der Mainstream eindeutig gegen Hierarchien zu sprechen: zu träge, zu intransparent, zu ungerecht, zu unkreativ, zu unmotivierend. OK. Ein paar Dinosaurier müssten noch überwunden werden. Aber dann steht der schönen neuen Netzwerkwelt mit einer perfekten Kommunikation auf Augenhöhe nichts mehr im Weg. Oder etwa doch?

Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte wird deutlich, dass eine Enthierarchisierung von Organisationen bereits in den 1940er-Jahren propagiert wurde, unter anderem von der Managementvordenkerin Mary Parker Follett. Dass dieser Gedanke in den 1960ern wieder aufgegriffen wurde, erscheint aufgrund der damaligen Aufbruchstimmung logisch. In den 1980ern ging das Prognostizieren weiter, unter anderem mit Tom Peters, einem der renommiertesten US-amerikanischen Management-Gurus. Schon damals gab es eine VUCA-Welt, an die man sich mihilfe flexibler Netzwerke anpassen wollte. Später kamen Diskussionen um Lean Nanagement und Agilität, vor allem in Projektteams hinzu. Die Diskussion um Hierarchien versus Netzwerke ist also alles andere als neu, wird jedoch seit Scrum,  New Work und  Feelgood Management vehementer geführt als jemals zuvor.

Dabei sollten wir zwei Gedankenstränge tunlichst voneinander unterschieden:

  1. Ist oder wäre es sinnvoll, Hierarchien zu reduzieren? Wenn ja, warum?
  2. Wie realistisch ist es, dass Hierarchien mittel- und langfristig auch in großen Firmen abgebaut werden?

In der Literatur wird diese Unterscheidung selten vorgenommen. Meist hat es den Anschein, dass der Abbau von Hierarchien herbeigeschrieben werden will, weil es sinnvoller erscheint, mithilfe von Netzwerken Veränderungen zu meistern. Und rein menschlich fühlt es sich auch richtig an, gegen die bösen Hierarchien zu wettern, die uns schlimmstenfalls an Militäroperationen erinnern. Die Forderung, Hierarchien endlich abzubauen, wird gerne mit einzelnen glorreichen Beispielen oder Umfragen unterfüttert, insbesondere auch dem Silicon Valley. Dabei gibt es wesentlich mehr Beispiele – alleine aus meinem direkten Arbeitsumfeld – in denen es im Wesentlichen hierarchisch zugeht. Literarisch spannend ist das nicht, doch leider die Wahrheit.

Und wenn wir uns das Buch Code kaputt von Anna Wiener über die männerdominierte Welt der Silicon Valley Start-ups zu Gemüte führen, wird deutlich, dass vermeintlich enthierarchisierte Arbeitswelten an der Oberfläche modern und lässig wirken, sich in Wirklichkeit jedoch neue unsichtbare Hierarchien im Gewand des Rechts der Stärkeren und Schnelleren herausbilden. Enthierarchisiert bedeutet nicht automatisch gleichberechtigt. Und wo es keine (hierarchischen) Regeln gibt, könnte dies zu einem neuen Feudalismus führen.

Über den Zusammenhang von Netzwerken und Hierarchien

Netzwerke und Hierarchien im geschichtlichen Kontext

Der Historiker Niall Ferguson geht in seinem Buch Türme und Plätze. Netzwerke, Hierarchien und der Kampf um die globale Macht der Frage nach, welchen Einfluss Netzwerke auf die Weltgeschichte hatten und betont, dass Netzwerke schon immer eine wichtige Rolle spielten, deren Bedeutung jedoch systematisch unterschätzt wurde. Meist erfolgt die Geschichtsschreibung auf der Sicht der Macht. Als Leitmetapher für sein geschichtliches Erklärungsmodell nutzt er die Piazza del Campo in Siena/Italien, die vom Turm des Rathauspalastes überragt wird, dem Torre del Mangia. Der weite Platz steht bei Ferguson für den freien Austausch der Bürger/innen von Informationen und Handelsgütern.

Der Turm hingegen steht für die Macht, die den freien Austausch der Individuen kontrollieren will. Spione, Banker, Wissenschaftler oder Freimaurer forderten die politischen Machthaber immer wieder heraus. Der Klerus der katholischen Kirche wurde durch das Netzwerk der Reformation, der Absolutismus durch das intellektuelle Netzwerk der Aufklärung und die Old Economy durch Netzwerke im Silicon Valley herausgefordert. Hierarchien wurden jedoch niemals komplett abgeschafft, sondern lediglich aufgefordert, ihre Ordnung und Regeln zu überdenken, als würden sie in einer Symbiose mit Netzwerken leben.

Es ist ein wenig wie ein Katz-und-Maus-Spiel. Ohne Katze keine Maus und ohne Maus keine Katze. Es geht ewig hin und her. Übertragen auf Unternehmen kann dieser Marktplatz der Kicker im Keller sein, die Teeküche, ein Innovation Lab mit einem offenen Kundenverkehr, ein Chatroom oder sogar eine digitale Plattform, die ähnlich wie ein Innovation Lab für Kunden zugänglich ist. Das Unternehmen richtet diese Orte zwar ein, weil es die Macht dazu hat und um den Austausch der Informationen dort weiß. Es kann die Abläufe an diesen Orten jedoch nur bedingt steuern. Gezielte Steuerungen werden immer wieder versucht, wenn die Geschäftsleitung Pinnwände mit Informationen vorbestückt, um den Informationsfluss in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie wird es jedoch niemals ganz schaffen, weil Netzwerke immer auch eigene Wege gehen.

Netzwerke und Hierarchien aus Sicht der Organisationsforschung

Das Leben in Organisationen ist wie jedes Leben komplexer als die Literatur erlaubt. Während es auf der einen Seite klare Regeln, einen Dresscode und Dienstbeschreibungen gibt, gibt es auf der anderen Seite unbewusste kulturelle Ebenen und informelle Informationskanäle, die Neulinge im Unternehmen leicht überfordern können, da sie nicht selten den offiziellen Regeln widersprechen. Häufig müssen Mitarbeiter/innen sogar gegen offizielle Regeln verstoßen, um arbeitsfähig zu bleiben.

Gleichzeitig formen sich in ehemals reinen Netzwerken neue Hierarchien heran. Sobald  Netzwerke größer werden, bildet sich nach und nach eine innere Ordnung heraus, die meist wieder hierarchisch aufgebaut ist, ob dies nun die Freimaurer sind oder hippe Start-ups im Silicon Valley.

Die Erkenntnis, dass Organisationen neben den Formalstrukturen auch informelle Strukturen haben, ist so alt wie die Organisationsforschung selbst. Ohne in die Tiefe zu gehen, sei an dieser Stelle auf Max Weber, den Gründungsvater der Organisationstheorie verwiesen, der sich bereits in den 1920er- Jahren damit beschäftigte, wie Bürokratien mit den existierenden persönlichen Netzwerken in einer Organisation zu vereinbaren sind.

Auf Jakob Moreno aus den 1930er-Jahren geht das Verfahren der Soziometrie zur Messung von Netzwerken zurück, das auch heute noch verwendet wird. Elton Mayo et al. setzten die Soziometrie in den 1940ern zur Beschreibung von Beziehungen und Konflikten ein. 1973 schließlich stieß der Soziologe Mark Granovetter auf die These von der „Stärke schwacher Bindungen“, mit der er zeigte, wie wichtig Netzwerkverbindungen sind. Ronald Burt übertrug diese Grundidee der Wichtigkeit sozialen Netzwerkkapitals kurz darauf auf berufliche Erfolge. Und der Management-Professor Fred Luthans zeigte Ende der 1980er, dass erfolgreiche Manager fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Bildung von Koalitionen, der Pflege von Freundschaften mit beruflich relevanten Personen, dem Zelebrieren von Smalltalk auf wichtigen Anlässen und dem Beitritt zu karriereförderlichen Vereinen verbringen. An diesem kurzen Rundumschlag aus etwa 100 Jahren Organisationspsychologie zeigt sich ebenso, dass das Thema Hierarchien versus Netzwerke nicht gerade neu ist.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Häufig wird bei all der Euphorie zum Thema Partizipation und Führung auf Augenhöhe die rechtliche Seite vergessen. Hierarchien und damit die Verantwortlichkeit und im Zweifelsfall die Schuldfrage bei Schäden, sind jedoch klar in unserem Arbeitsrecht verankert. Ich möchte Ihnen auch hier lediglich einen Rundumschlag zum Thema Organisationsform anbieten, da das Arbeitsrecht ein komplexes Thema für sich ist. Jedoch möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Frage, wer was mitentscheiden darf auch davon anhängt, in welcher Unternehmensform eine Organisation auftritt.

Beispiel:

Ich hatte beispielsweise vor einigen Monaten einen Beratungsauftrag für eine gGmbH, also eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In dieser gGmbH gibt es eine jährliche Gesellschafterversammlung, zwei Geschäftsführer/innen und diverse Standortleitungen. Die Gesellschafter/innen geben die Ausrichtung der Organisation vor, mischen sich jedoch nicht in das operative Geschäft ein. Die Geschäftsführung setzt die Visionen, Ziele und Pläne der Gesellschafter bestmöglich um. Und die Standortleitungen versuchen in ihrem kleinen Rahmen Akzente zu setzen. Dabei kam der Wunsch von den Standortleitungen nach mehr Mitbestimmung auf, was rein kulturell in diesem Unternehmen durchaus möglich wäre. Die Geschäftsführung wäre auch gewillt, mehr Spielräume zuzulassen, muss dies jedoch mit Gesellschaftern abklären, die nicht im operativen Geschäft angesiedelt sind. Sie können also die Standortleitungen bestenfalls bis zur nächsten Jahreshauptversammlung vertrösten und dann für die neuen Ideen werben.

In der Realität ist diese holzschnitzartige Darstellung freilich komplexer. Hier gibt es immer kleinere Möglichkeiten, eigene Wege zu gehen. Sollte es jedoch um größere Themen gehen, die für eine umfassendere Neuausrichtung sprechen, tritt die Hierarchie dieser Unternehmensform deutlich zutage.

Letztlich geht es bei Hierarchien aus dem Blickwinkel der Unternehmensform immer um die Frage der Haftung. Wird mit einer Einlage wie bei einer GmbH von 25.000 Euro gehaftet oder sogar mit dem Privatvermögen? Stehen Aktien auf dem Spiel? Sobald Geld und im Falle von Verlusten die Schadensfrage eine Rolle spielen, werden aus Netzwerken schnell Hierarchien, bewusst oder unbewusst.

Schauen wir uns nach diesem Praxisbeispiel noch ein paar weitere Unternehmensformen an. Im deutschen Recht gibt es Personengesellschaften wie GbRs, OHGs, KGs und Kapitalgesellschaften wie GmbHs, UGs oder AGs.

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die einfachste Form der Personengesellschaft. Sie entsteht, wenn sich mindestens zwei Gesellschafter zusammenschließen, beispielsweise im Rahmen einer gemeinsamen Arzt- oder Anwaltspraxis. Hierarchien gibt es in GbRs eher weniger, da die Partner/innen in der Regel gleichberechtigt nebeneinander agieren. Große Netzwerke ergeben sich durch die üblicherweise kleinen Sozietäten jedoch auch nicht. Eine Offene Handelsgesellschaft ist ähnlich einfach aufgebaut wie eine GbR, wird jedoch häufig von Handelsunternehmen genutzt.

Bei einer Kommanditgesellschaft als spezielle OHG werden Rollen und damit quasi auch Hierarchien in Unternehmensformen eingeführt. In einer KG gibt es neben den normalen Gesellschaftern einen Kommanditisten und einen Komplementär. Der Komplementär haftet gegenüber den Gläubigern im Zweifelsfall auch mit dem eigenen Vermögen. Der  Kommanditist haftet lediglich mit seiner Kapitaleinlage. Damit ergibt sich logischerweise ein hierarchisches Verantwortungsgefühl.

Der zentrale Aspekt einer Aktiengesellschaft ist freilich die Verteilung von Aktien, wodurch sich ebenfalls Hierarchien entwickeln. Wer mehr Aktien besitzt, hat zum einen mehr Stimmrechte und übernimmt zum anderen schon allein aus Eigeninteresse mehr Verantwortung.

Plädoyer für ein Zusammenspiel zwischen Hierarchie und Netzwerk

Vor- und Nachteile von Hierarchien und Netzwerken

Grob formuliert schaffen Hierarchien Ordnung, weil klar wird, wer…

  • wofür verantwortlich ist.
  • was bestimmen oder mitbestimmen kann.
  • bei Fehlern oder im Falle einer Insolvenz haftet.
  • Produktionsmittel zur Verfügung stellt.
  • gegenüber Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern, rechtlich gegenüber dem Staat und moralisch gegenüber einer Gesellschaft haftbar ist.

Hierarchische Ordnungen schaffen nicht nur Sicherheit und regeln Karrierewege. Sie schaffen es auch, eine Organisation an gemeinschaftlichen Zielen auszurichten, während die Ziele in Netzwerken häufig persönlicher und wechselhafter sind.

Netzwerke hingegen bringen diese Ordnung durcheinander. Sie sind kreativ, übertreten Regeln und fördern damit im besten Fall die Entstehung einer neuen, sinnvolleren Ordnung. Würden sich in meinem gGmbH-Beispiel die Standortleitungen absprechen und gegen den Widerstand der Gesellschafter und am besten ohne das Wissen der Geschäftsleitungen eigene Angebote erstellen und damit die Macht der Gesellschafter unterwandern, könnten sich damit neue Ideen etablieren, die im Erfolgsfall später von den Gesellschaftern abgesegnet werden.

Solche Irritationen gleichen für die Beteiligten einem Drama. Von außen betrachtet erinnern sie jedoch eher einem shakespeare-reifen Schauspiel, in dem alle Akteure eine Rolle spielen (müssen): Die Standortleitungen als trotzige Kinder folgen ihrem Herzen. Sie können nicht anders als gegen die offiziellen Vorgaben verstoßen, wenn sie sehen, dass die Realität etwas anderes erfordert. Die Gesellschafter wiederum können die Übertretungen nicht einfach abnicken, um ihre Machtposition nicht zu gefährden. Sie müssen also offiziell „mit den Kindern schimpfen“, auch wenn sie insgeheim froh über die neuen Ideen sein sollten.

In einem anderen Fall aus meiner Beratungspraxis sagte ein Abteilungsleiter zu einem Teamleiter, er solle in einem bestimmten Fall eine Regel bewusst übertreten, um handlungsfähig zu bleiben. Soll der Auftrag eines Kunden fristgerecht bearbeitet werden, kann es durchaus passieren, dass eine Auftrag genehmigt wird, auch wenn noch nicht alle Informationen zur Verfügung stehen. Er darf dem Abteilungsleiter dies jedoch nicht erzählen. Andernfalls müsste dieser die Compliance einschalten.

Während Hierarchien unpopuläre Entscheidungen treffen können, sofern der hierarchische Platz dem Entscheider sicher ist, besteht in Netzwerken ein Autoritätsvakuum, in dem die Mehrheit bestimmt, was zu tun ist. Dies klingt im ersten Moment positiv. Wenn jedoch unklar ist, wie diese Mehrheit zustande kommt, wird es heikel. Wer sich mit der sogenannten Spieltheorie auseinandersetzt, erkennt schnell, wie leicht sich eine Gruppe von Menschen manipulieren lässt, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ein simples Beispiel soll dies verdeutlichen:

Beispiel:

In einer Gruppe von zehn Personen soll eine Entscheidung getroffen werden. Dazu gibt es zwei Meinungen. Gehen wir davon aus, dass drei Personen die Meinung A vertreten, drei die Meinung B und vier noch unentschieden sind. Person A beginnt mit der Meinung A und beeinflusst damit die noch unentschiedene Person B. Daraufhin hängt sich Person C ebenfalls mit der Meinung A an die entstehende Gruppe. innerhalb weniger Minuten steht es 3 zu 0 für die vermeintliche Mehrheitsmeinung A. Wenn nun nicht schnellstens die drei Vertreter der Meinung B, die oftmals nichts voneinander wissen, einhaken, werfen sich die drei übrigen Unentschiedenen ebenso auf die Seite von A und der Fall ist klar. Hätte jedoch Person D mit der Meinung B begonnen, hätte es ganz anders ausgehen können.

Die persönliche Sichtweise

Wir sollten dabei nicht vergessen, dass Hierarchien oder Netzwerke auch unterschiedliche Menschentypen ansprechen. Bei aller Sehnsucht nach New Work und einer menschenfreundlichen Arbeitswelt, sind die Menschen verschieden in ihren Bedürfnissen. Während Hierarchien auf die einen aufgrund klarer Regelungen entspannend wirken, erfreuen sich andere an dem kreativen Chaos von Netzwerken. Streng genommen sind Netzwerke jedoch ebenso hierarchisch gegliedert, allerdings in der Regel unsichtbar: Wer die Fähigkeit mitbringt, sich elegant in Netzwerken zu tummeln, Kontakte pflegt, Verbindungen knüpft und gerne auf Veranstaltungen geht, hat in einer Netzwerkwelt alle Trümpfe in der Hand. Wer Smalltalk nicht ausstehen kann und grundsätzlich ein sozial reservierter Typ ist, wird in der unsichtbaren Netzwerk-Hierarchie kaum einen Stich machen.

Zudem gibt es Mitarbeitende, die nun einmal nicht alles mitbestimmen wollen, teils weil sie es nicht gewohnt sind, zumindest im Arbeitskontext, teils weil sie lediglich ihren Job machen und Geld verdienen wollen. Der Rest des Lebens spielt sich zu Hause ab, beim Hausbau, im Urlaub oder im Verein. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Mitbestimmung in der Arbeit nicht ab und an eine Augenwischerei ist. In manchen Unternehmen wird es als große Errungenschaft verkauft, wenn Putzkräfte ihre Putzmittel selbst bestimmen und einkaufen können, anstatt dies einer zentralen Besorgung zu überlassen. Sie können sich ja im informellen Netzwerk absprechen, welche Mittel am besten funktionieren. Für die Putzkräfte ist dies jedoch beileibe keine Verbesserung oder sogar Wertschätzung, sondern zuerst einmal eine unbezahlte Mehrarbeit. Mit einer echten Mitbestimmung hat das wenig zu tun.

Kann es sein, dass mit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung der Auflösung der Grenzen zwischen Privatleben und Arbeit Unternehmen am liebsten den gesamten Menschen kapern möchten? Das Homeoffice verlagerte die Arbeit in die eigenen vier Wände. Und vor Ort werden moderne Unternehmen mit Feelgood-Charakter zum Wohlfühlpalast. Während Arbeit früher Arbeit war, ist sie heute ein Rundumpaket. Der Abstand von der Arbeit zur Regeneration geht dabei jedoch verloren.

Der moderne Mitarbeiter darf im Sinne des Netzwerkgedankens sein Herzblut in die Firma einbringen und soll zu allem eine Meinung haben. Er muss jedoch auch rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Ich übertreibe ein wenig. Doch die Euphorie in manchen Unternehmen scheint in diese Richtung zu gehen. Kein Wunder, dass sich manche Mitarbeitende lieber wieder Hierarchien und Regeln wünschen, in denen klar ist, wer was bestimmt und was richtig oder falsch ist.

Hybridlösungen als Fazit

In vielen Firmen herrscht derzeit eine Aufbruchstimmung. Es sollte doch möglich sein, die hohe Kreativität und Eigenverantwortung eines netzwerkorientierten Scrum-Teams auch auf andere Bereiche des Unternehmens auszudehnen. Was im kleinen Kreis eines Teams funktioniert, muss jedoch nicht zwangsläufig für die gesamte Organisation gelten. Ein paar Rahmenaspekte sollen dies verdeutlichen:

  • Vision: Welche gemeinsame Vision ist vorhanden und wer kümmert sich um welche operativen Umsetzungen der Vision?
  • Kreativität:
    • Geht es in unserer Arbeit mehr um kreative Prozesse oder um Verwaltungstätigkeiten?
    • Welche informellen Netzwerke sind wichtig, um neue Ideen zu fördern und wie werden diese mittel- und langfristig in das Unternehmen eingebunden?
  • Verantwortung: Sind die Verantwortlichkeiten im Schadensfall klar geregelt?
  • Verhältnis zwischen Hierarchien und Netzwerken:
    • Inwiefern wird der freie Charakter von Netzwerkorganisationen wie Scrum-Teams oder Innovation-Labs vor einem hierarchischen Einfluss von außen geschützt? Wo liegen die Grenzen dieses Schutzes?
    • Was sollte klar geregelt sein? Und worin sollten Freiräume bestehen?
    • Worin bestehen bei uns die Vor- und Nachteile lockerer Netzwerke? Worin bestehen die Vor- und Nachteile strenger Hierarchien? Wann können Hierarchien oder Netzwerke sogar schädlich sein?

In diesem Sinne ist es essentiell, die Verzahnung von Hierarchien und Netzwerken im Unternehmen klar zu benennen und die Vorteile beider Organisationsformen zu nutzen:

Hierarchien … Netzwerke …
schaffen eine gemeinsame motivierende Vision. ermöglichen das Ausleben persönlicher Motivatoren und Ziele.
regeln die Verantwortung und Haftungsfrage im Schadensfall. schaffen Spielräume in den Grenzen der Haftungsfrage.
bestimmen, was getan werden muss. eröffnen Möglichkeiten für persönliche Vorlieben.
ermöglichen schnelle Entscheidungen. fördern durch das Prinzip der Schwarmintelligenz nachhaltige Entscheidungen.
kommen sachorientierten Mitarbeitenden zugute. kommen beziehungsorientierten Mitarbeitern zugute.
ermöglichen die Durchsetzung unpopulärer Entscheidungen. fördern das Commitment der Mitarbeitenden.

Der Aspekt der Schnelligkeit ist jedoch unterschiedlich zu betrachten. Agilität bedeutet schließlich auch, im operativen Geschäft schnelle Entscheidungen ohne Rückmeldung mit hierarchisch höher stehenden treffen zu können, das heißt konkret bei einer Beschwerde den Kunden nicht zu vertrösten, sondern autonom 20 Prozent Rabatt geben zu können. Damit dies jedoch nicht in Willkür ausartet, sollten solche Spielräume wiederum vorab für alle Mitarbeitenden hierarchisch abgesegnet werden.


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Noch mehr Beiträge aus den Bunker-Chroniken findet ihr
 hier.

Die Themen “Körpersprache” oder “Proaktives Führen” beschäftigen Michael Hübler auch in seinen  Büchern.

 

 


Über den Autor

 Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer „Heilen-Welt-Philosophie“ zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.

Bei metropolitan von Michael Hübler erschienen:

 Provokant – Authentisch – Agil
Die neue Art zu führen
Wie Sie Mitarbeiter humorvoll aus der Reserve locken
ISBN 978-3-96186-004-3

 New Work: Menschlich – Demokratisch – Agil
Wie Sie Teams und Organisationen erfolgreich in eine digitale Zukunft führen
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 Die Bienen-Strategie und andere tierische Prinzipien
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 Die Führungskraft als Krisenmanager
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 Gesellschaftliche Konflikte in der Corona-Krise
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ISBN 978-3-96186-047-0